Das Konto

Sergei Roldugin bittet während turbulenten Zeiten in der Schweiz um ein Bankkonto. Ein fragwürdiges Vorgehen, sagen Geldwäschereiexperten.

Der Cellist und Dirigent Sergei Roldugin.

Der Cellist und Dirigent Sergei Roldugin.

«Nichts deutet darauf hin, dass die Gazprombank Roldugin überprüft hat.»

Die Niederlassung der Gazprombank in Zürich.

Die Niederlassung der Gazprombank in Zürich.

Im Februar 2014 stürzte der ukrainische Machthaber Wiktor Janukowitsch, Putin schickte Truppen, annektierte die Krim – der Westen sanktionierte Ende März wichtige Personen aus dem Umfeld des Präsidenten.

In den Schweizer Banken ist man nervös. Niemand will die Sanktionen brechen. Reiche Russen, die ausgerechnet jetzt neue Konten errichten, werden mit Argusaugen geprüft.

Doch in diesem April setzt ein Mitarbeiter der Client-Relations-Abteilung der Gazprombank Schweiz eine hochriskante Kontoeröffnung in Gang. Laufen soll das neue Konto auf den Namen einer Briefkastenfirma in Panama namens International Media Overseas SA, kurz IMO.

In den Panama-Papieren steht schwarz auf weiss, wozu diese IMO geschaffen wurde: Sie ist «ein Schutzschirm in Form einer Firma, die in erster Linie dazu dient, die Identität des wirtschaftlich Berechtigten dieser Firma zu schützen und sie geheim zu halten».

Und was dieser Mann verdient, ist beeindruckend: Allein 2013 habe er mit seiner Firma 10 Millionen Franken Profit gemacht, steht in einem Formular. Er hat demnach mehr verdient als der CEO der Credit Suisse im Jahr 2014.

Sein Name steht auch im Formular: Sergei Roldugin, Musiker.

Eine Reihe von Experten haben sich die Kontounterlagen der Gazprombank angeschaut. Die Reaktionen reichten von konsterniert bis entsetzt.

«Die Bank ist verpflichtet, zu prüfen, ob ein künftiger Kontoinhaber eine ‹politisch exponierte Person›, ein sogenannter PEP, ist», sagt Strafrechtsprofessor und Geldwäscherei-Experte Mark Pieth. Darunter versteht man hohe Politiker und ihr enges Umfeld. Solche Personen dürfen in der Schweiz nur unter strengen Auflagen Konten führen, denn es besteht die erhöhte Gefahr, dass sie veruntreutes Geld in die Schweiz bringen.


Der Fragebogen der Gazprombank.

Geldwäschereiexperte Mark Pieth bei einer Pressekonferenz in Zürich im Jahr 2011.

Geldwäschereiexperte Mark Pieth bei einer Pressekonferenz in Zürich im Jahr 2011.

Geldwäschereiexperte Mark Pieth bei einer Pressekonferenz in Zürich im Jahr 2011.

Tatsächlich stellte die Gazprombank in ihren Unterlagen die Frage, ob denn dieser Roldugin ein PEP sei. Die Antwort auf dem Formular: «Nein». Ferner kenne Herr Roldugin auch keinen PEP, steht da. Doch das stimmt nicht.

«Nach Schweizer Recht ist Roldugin durch seine Nähe zu einem amtierenden Staatsoberhaupt klar eine exponierte Person», sagt Pieth. David Zollinger, Compliance-Experte, Co-Autor des Kommentars zum Geldwäschereigesetz und langjähriger Staatsanwalt in Zürich stimmt zu: «Wenn Sie jemanden als Paten Ihres Kindes einsetzen, dann gehen Sie eine bewusste gegenseitige Verbindung mit dieser Person ein», sagt er. «Näher an einem Staatsoberhaupt kann man nur noch durch familiäre Bande oder Heirat sein.»

Die Bank hätte nun die rechtliche Verpflichtung, diese falschen Angaben zu korrigieren. Der Verbindung auf die Spur zu kommen, wäre leicht. Nebst vielen Artikeln, gibt es den russischen Wikipedia-Eintrag des Musikers. Dort stand schon 2014 gleich im zweiten Abschnitt, er sei einer der beiden allerengsten Freunde von Putin.

Vor allem aber zeigt ein Blick in die Panama-Papiere, dass Roldugin bereits seit Jahren Konten bei der Schweizer Gazprom-Vertretung führte. Der Mann war offenbar Stammkunde. «Aber nichts deutet darauf hin, dass die Bank die Angaben kontrolliert hat», sagt Pieth. «In diesem Fall hätten sie die Kontoeröffnung vermutlich verweigert.» Dies vor allem wegen eines zweiten, noch gravierenderen Grunds.

Roldugin: «Ich besitze keine Millionen»

«Einer der Hauptfehler, den Banken immer wieder begehen, ist die fehlende Frage, wie denn der Kunde zu seinem Startkapital gekommen sei, und die fehlende Abklärung, wie er im Rahmen seiner angegebenen Tätigkeit tatsächlich ein derart hohes Vermögen und solche Einkünfte erzielt haben könnte», sagt Zollinger. Reiche Politiker und ihre Familien hätten stets eine lückenlose Dokumentation, wie sie zu ihrem für Politiker unüblich grossen Vermögen kamen. «Doch dank welcher Tätigkeit könnte ein Cellist in Russland 10 Millionen Franken pro Jahr verdienen?», fragt Zollinger.

Roldugin selber sagte wenige Monate nach der Schweizer Kontoeröffnung der «New York Times», er sei «sicherlich» kein Geschäftsmann: «Ich besitze keine Millionen.»

Ein Teil des Vermögens stammt womöglich von Aktienpaketen, die er angeblich hält. So besitzt er rund 3 Prozent der russischen Bank Rossija. «Doch das führt nur zur Frage, woher ein Musiker die Mittel hat, ein substanzielles Aktienpaket einer Bank zu kaufen», sagt Zollinger. Hat er günstig gekauft?

Expertin Karen Dawisha, die sich intensiv mit dem Umfeld Putins befasste, sagt klar: «Roldugin hatte keinen Rappen. Er hatte kein Geld, um ein derartiges Aktienpaket von Bank Rossija zu kaufen.»

«Näher an einem Staatsoberhaupt kann man nur noch durch Heirat sein.»

Die Gazprombank wollte zu alledem auch auf wiederholte Anfrage keine Stellung nehmen. Auch nicht zur Tatsache, dass Roldugin Rossija-Aktionär sei. Dies führt gleich zum dritten Grund, warum Roldugin eine Schweizer Bank vorsichtig machen müsste.

Als der Musiker um das Konto bat, im April 2014, spekulierte die Welt, ob die Freunde Putins, die seit wenigen Tagen auf den Sanktionslisten des Westens standen, den Schweizer Finanzplatz zur Umgehung der Sanktionen nutzen könnten. In den Compliance-Abteilungen der Banken in Zürich und Genf herrschte der Krisenmodus.

Drei Wochen vor der Kontoeröffnung haben die USA eine Reihe enger Freunde Putins sanktioniert sowie eine Institution: die Bank Rossija – die Bank, bei der Roldugin Aktionär ist.

Auch bei der Gazprombank steht in einem Formular zur Kontoeröffnung die Frage, ob Roldugins Briefkastenfirma denn Geschäfte mache mit Firmen auf den Sanktionslisten der USA. Die Antwort: «Nein».

In den Eröffnungsunterlagen ist allerdings klar festgehalten, von welcher Adresse künftig Anweisungen für das neue Millionenkonto von Putins Familienfreund kommen: Es ist eine unverdächtige E-Mail-Adresse, hinter der aber ein Mitarbeiter der Bank Rossija steht.

In der Erklärung der US-Regierung für die Sanktionen gegen Rossija steht, die Bank werde kontrolliert von einer Person, welche der persönliche «Kassierer» sei, von Wladimir Putin.

Die Bank Rossija werde kontrolliert von einer Person, welche der persönliche «Kassierer» sei, von Wladimir Putin.

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